Oblivion:Ein Übermaß an Dieben

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Diese Seite enthält den Text des Buches Ein Übermaß an Dieben aus The Elder Scrolls III: Morrowind und The Elder Scrolls IV: Oblivion (Originaltitel: Übermaß an Dieben).


Inhalt

Ein Übermaß an Dieben
von
Aniis Noru


„Das sieht aber interessant aus”, sagte Indyk, während er die Augen zusammenkniff, um zu beobachten, wie die schwarze Karawane sich ihren Weg zur Spitze des verborgenen Schlosses bahnte. Jede Kutsche trug ein farbenprächtiges, fremdes Wappenschild, dessen Schein im Licht des Mondes glänzte. „Was glaubst du, wer das ist?”


„Offensichtlich Leute mit viel Geld”, antwortete seine Gefährtin Heriah lächelnd. „Vielleicht eine neue kaiserliche Sekte, die sich der Ansammlung von Reichtümern gewidmet hat?”


„Geh in die Stadt und versuche, etwas über das Schloss herauszufinden”, sagte Indyk. „Ich werde sehen, ob ich etwas über diese Fremden in Erfahrung bringen kann. Wir treffen uns morgen Nacht auf diesem Hügel wieder.”


Heriah besaß zwei besondere Fähigkeiten: sie konnte Schlösser knacken und sie konnte Rätsel knacken. Am folgenden Tag traf sie in der Abenddämmerung wieder auf dem Hügel ein. Indyk folgte eine Stunde später.


„Der Ort wird Ald Olyra genannt”, erklärte sie. „Er entstand in der zweiten Ära, gebaut von einer Gruppe Adliger, die sich vor einer der Epidemien schützen wollten. Sie versuchten, die Massen kranker Menschen von sich fernzuhalten, damit diese die Seuche nicht unter ihnen verbreiten konnten, und legten ein für ihre Zeit sehr raffiniertes Sicherheitssystem an. Das Meiste ist natürlich schon zerfallen, aber ich denke, es gibt noch eine gute Anzahl funktionierender Schlösser und Fallen. Was hast du herausgefunden?”


„Nicht halb so viel wie du”, antwortete Indyk missmutig. „Keiner scheint etwas über diese Leute zu wissen, noch nicht einmal, dass sie überhaupt hier sind. Ich hatte schon fast aufgegeben, aber dann habe ich in der Kartause einen Mönch getroffen, der mir erklärte, dass seine Herren eine geschlossene Gemeinschaft sind, die sich als Orden von Hl. Eadnua bezeichnet. Ich habe ein wenig mit ihm gesprochen, Parathion ist sein Name, und es scheint, als hätten sie heute Abend ein rituelles Fest.”


„Sind sie wohlhabend?”, fragte Heriah ungeduldig.


„Nach Aussage des Mönchs mehr, als du dir vorstellen kannst. Sie sind allerdings nur noch heute Nacht im Schloss.”


„Ich habe meine Dietriche dabei”, sagte Heriah und zwinkerte ihm zu. „Die Gelegenheit bietet sich also an.”


Sie zeichnete eine Skizze des Schlosses in den Sand: Die Haupthalle und die Küche waren am vorderen Portal, während die Ställe und die Waffenkammer im hinteren Teil lagen. Die beiden Diebe hatten ein System, das noch nie versagt hatte. Heriah versuchte, einen Weg in das Schloss zu finden und so viel Beute wie nur möglich zu machen, während Indyk für Ablenkung sorgte. Er wartete, bis seine Gefährtin die Mauer hochgeklettert war, ehe er an das Tor klopfte. Sollte er diesmal einen Barden spielen? Oder lieber einen Abenteurer, der sich verlaufen hatte? Es machte am meisten Spaß, bei den Details ein bisschen zu improvisieren.


Heriah hörte, wie Indyk mit der Frau sprach, die zum Tor kam, aber sie war zu weit weg, um dem Gespräch folgen zu können. Offensichtlich war er erfolgreich, denn im nächsten Moment hörte sie, wie die Tür geschlossen wurde. Der Mann hatte Charme, das musste man ihm lassen.


Auf dem Weg zur Waffenkammer waren nur wenige Fallen gelegt und Schlösser angebracht worden. Zweifelsfrei waren die meisten Schlüssel im Laufe der Zeit verloren gegangen. Der Diener, der für die Sicherung der Schatzkammer des Ordens verantwortlich war, hatte ein paar neue Schlösser anbringen lassen. Sie benötigte mehr Zeit, um sich durch die komplizierten Schnappschlösser und Riegel der neuen Fallen zu manövrieren, ehe sie zu den alten, aber noch funktionierenden Schließsystemen gelang. Heriah konnte es kaum abwarten. Sie dachte, dass das, was hinter diesen Türen lag, ziemlich wertvoll sein musste, sonst hätte man sich nicht so viel Mühe mit den Schlössern gegeben.


Als die Tür endlich leise aufschwang, wurden ihre gierigen Wunschträume sogar noch übertroffen. Berge goldener Schätze und historischer Reliquien schimmerten in unberührter Schönheit, Waffen von unvergleichlicher Güte, faustgroße Juwelen, Flaschen mit fremden Elixieren und ganze Stapel von wertvollen Dokumenten und Schriftrollen waren zu sehen. Sie war so fasziniert von dem Anblick, dass sie den Mann hinter sich nicht hörte.


„Ihr müsst Gräfin Tressed sein”, ließ eine Stimme sie hochschrecken.


Es war ein Mönch in einer schwarzen Kutte mit Kapuze, die aufwendig mit Gold und Silber durchwoben war. Einen Moment lang war sie sprachlos. Es war eine dieser Begegnungen, die Indyk so liebte, sie jedoch konnte nur mit dem Kopf nicken und hoffen, dass sie überzeugend wirkte.


„Ich fürchte, ich habe mich verlaufen”, stotterte sie.


„Das sehe ich”, lachte der Mann. „Das hier ist die Waffenkammer. Ich werde Euch den Weg zum Speisesaal zeigen. Wir fürchteten schon, Ihr würdet nicht kommen. Das Fest ist fast schon vorbei.”


Heriah folgte dem Mönch über den Hof zu der Doppeltüre, die in den Speisesaal führte. Er reichte ihr mit einem wissenden Lächeln eine Kutte wie die seine, die außen an der Tür an einem Haken hing. Sie schlüpfte hinein. Genau wir er zog auch sie die Kapuze über den Kopf und betrat die Halle.


Fackeln beleuchteten die Personen, die um die lange Tafel versammelt waren. Alle trugen die gleiche schwarze Kutte, die das Antlitz verbarg. So wie es aussah, war das Fest vorüber. Leere Teller, Schlüsseln und Gläser füllten jeden freien Zentimeter des Tisches, aber von dem Mahl waren nur winzige Krümel übrig. Es sah aus, als würde das Ende der Fastenzeit gefeiert. Einen Moment lang dachte Heriah nicht mehr an die Gräfin Tressed, die die Gelegenheit, an dieser Völlerei teilzunehmen, verpasst hatte.


Das einzig Ungewöhnliche an der Festtafel war der Tafelschmuck in der Mitte: eine riesige goldene Sanduhr, deren letzte Minute gerade ablief.


Alle Anwesenden sahen gleich aus, einige schliefen, andere schwatzten fröhlich miteinander und einer von ihnen spielte eine Laute. Sie bemerkte, dass es Indyks Laute war und sah nun auch Indyks Ring am Finger des Mannes. Heriah war auf einmal dankbar für die Anonymität, die ihr die Kapuze gab. Vielleicht würde Indyk so nicht herausbekommen, dass sie es war und dass sie ertappt worden war.


„Tressed”, sagte der junge Mann zu den Anwesenden, die sich wie ein Mann umdrehten und in donnernden Applaus ausbrachen.


Die Mitglieder des Ordens, die noch bei Bewusstsein waren, erhoben sich, um ihr die Hand zu küssen und sich vorzustellen.


„Nirdla.”


„Suelec.”


„Kyler.”


Die Namen wurden merkwürdiger.


„Toniop.”


„Htillyts.”


„Noihtarap.”


Sie konnte ein Lachen nicht unterdrücken. „Ich verstehe. Es ist rückwärts. Eure echten Namen sind Aldrin, Celeus, Relyk, Poinot, Styllith, Parathion.”


„Natürlich”, sagte der junge Mann. „Möchtet Ihr Euch nicht setzen?”


„Sicher”, antwortete Heriah, die sich langsam in die Maskerade einlebte, und nahm Platz. „Gehe ich recht in der Annahme, dass die rückwärts genannten Namen sich wieder umkehren, wenn die Sanduhr abgelaufen ist?”


„Das ist richtig, Tressed”, sagte die Frau neben ihr. „Das ist nur eine der kleinen Vergnügungen unseres Ordens. Dieses Schloss ist wie gemacht für unser Fest, es wurde ja als Zuflucht vor den Opfern der Pest gebaut, die auf ihre Weise ja auch wandelnde Tote waren.”


Heriah fühlte sich auf einmal leicht benommen vom Geruch der Fackeln und fiel gegen den neben ihr schlafenden Mann. Er fiel kopfüber auf den Tisch.


„Armer Gnag Retsre”, sagte ein anderer und half, den Körper wieder aufzurichten. „Er hat uns so viel gegeben.”


Heriah taumelte und ging auf unsicheren Füssen zum vorderen Portal.


„Wohin geht Ihr, Tressed?”, fragte sie jemand und seine Stimme hörte sich unangenehm spöttisch an.


„Mein Name ist nicht Tressed”, murmelte sie und griff nach Indyks Arm. „Tut mir Leid, Gefährte. Wir müssen gehen.”


Das letzte Körnchen fiel gerade durch die Sanduhr, als der Mann seine Kapuze zurückzog. Es war nicht Indyk. Es war nicht einmal ein Mensch, sondern das gestreckte Zerrbild eines Mannes, mit hungrigen Augen und einem breiten Mund, der mit vampirähnlichen Hauern gefüllt war.


Heriah fiel zurück auf den Stuhl des Mannes, den sie Gnag Retsre nannten. Seine Kapuze öffnete sich und entblößte das blasse, blutleere Gesicht Indyks. Als sie anfing zu schreien, machten sie sich auch schon über sie her.


In der letzten Sekunde ihres Lebens buchstabierte Heriah den Namen Tressed endlich rückwärts.